Zur Vereinheitlichung des innergemeinschaftlichen Handels sieht das Jahressteuergesetz 2020 vom 21.12.2020 unter anderen wesentliche Änderungen im Umsatzsteuergesetz (UStG), welches insbesondere im Bereich des E-Commerce an das Unionsrecht angepasst wurde, vor.

Seit dem 01.07.2021 sind die Sonderregelungen zu OSS (§ 18j UstG) in Kraft getreten. Dabei handelt es sich um eine Weiterentwicklung des Mini-One-Stop-Shop-Verfahrens, welches seit dem 1. Oktober 2014 im Binnenmarkt tätigen Unternehmern der Telekommunikationsdienstleistungsbranche Erleichterungen bei der Durchsetzung des Bestimmungslandprinzips schaffen sollte. Mit dem erweiterten Adressatenkreis des OSS-Verfahrens wird nun unter anderem auch Onlinehändlern ermöglicht ihre in einem anderen EU-Land steuerbaren Umsätze zentral an das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) zu melden. Somit entfällt bei Anwendung des OSS-Verfahrens die Pflicht zur Registrierung und Abgabe von Umsatzsteueranmeldungen in den einzelnen EU-Ländern. Statt landesspezifischer Lieferschwellen greift fortan eine EU-weite einheitliche Umsatzgrenze.

1. Die neue Umsatzschwelle

Bislang war bei Überschreitung der nationalen Lieferschwellen eine umsatzsteuerliche Registrierung in dem jeweiligen Mitgliedstaat erforderlich. Die landesspezifischen Lieferschwellen variierten stark (Niederlande: 100.000 EUR, Tschechien: 43.300 EUR, Frankreich: 35.000 EUR) und mussten stets für jedes Land individuell überwacht werden. Zum 01.07.2021 wurde die Umsatzschwelle für sämtliche Lieferungen in andere EU-Staaten auf 10.000 EUR netto pro Kalenderjahr herabgesetzt. Überschreitet die Summe aller Fernverkäufe und (elektronischer) Dienstleistungen diesen Schwellenwert, so sind die Umsätze in den Bestimmungsländern zu versteuern. Unternehmer haben die Wahl, ob sie ihre Umsätze einheitlich über OSS melden und ihre Umsatzsteuerschuld in den jeweiligen Staaten in Summe an das BZSt abführen oder ihrer Melde- und Erklärungspflicht im EU-Ausland nachkommen.

Zu beachten ist, dass für die Beurteilung des Leistungsorts im Besteuerungszeitraum 2021 auch die innergemeinschaftlichen Fernverkäufe und sonstigen Leistungen einzubeziehen sind, die im Kalenderjahr 2020 sowie im 1. Halbjahr 2021 ausgeführt wurden. Eine Aufteilung der Umsatzschwelle ist für das Kalenderjahr 2021 nicht vorzunehmen, vgl. Abschnitt 3a.9a Abs. 1 Nr. 1 S.2  UStAE.

Demzufolge kommt es ab dem 01.07.2021 ab dem ersten Umsatz für alle innerhalb der EU erbrachten grenzüberschreitenden Lieferungen oder sonstigen Leistungen zur Ortsverlagerung, wenn im Kalenderjahr 2020 oder im 1. Halbjahr 2021 bereits die Umsatzschwelle überschritten wurde.

2. Teilnehmerkreis und Anwendungsbereich

Die Anmeldung für das OSS-Verfahren in Deutschland kommt für ansässige Unternehmer oder für Drittlandsunternehmen mit Inlandsbezug in Frage. Unternehmer, die ihren Sitz im EU-Ausland haben, müssen sich in dem Land, in dem sie ansässig sind für das Verfahren anmelden.

Das OSS-Verfahren kann auf folgende Umsätze angewendet werden:

  • Innergemeinschaftliche Fernverkäufe ab dem 01.07.2021 i.S.d. § 3c Abs. 1 und 4 UStG (auch Fernverkäufe eines deutschen Unternehmens von einem Lager in einem anderen EU-Staat)
  • Elektronische Dienstleistungen an Personen i.S.d. § 3a Abs. 5 UStG in EU-Mitgliedsstaaten, in dem der EU-Unternehmer nicht ansässig ist
  • Fiktive Lieferungen einer Schnittstelle i.S.d § 3 Abs. 3a S. 1 UStG, die in der EU beginnen
  • Sonstige Leistungen eines EU-Unternehmers an eine Person i.S.d. §3a Abs. 5 UStG im EU-Ausland (z.B.: Eintrittsgelder, Beförderungsleistungen, Vermietung von Beförderungsmittel, Begutachtungsdienstleistungen)

Gesondert zu beachten ist, dass bei der Nutzung von einigen Fulfillment-Strukturen (Amazon Pan EU, Amazon CEE) die Registrierungspflicht in den Lagerländern aufgrund der innergemeinschaftlichen Verbringungen und lokaler Umsätze bestehen bleibt.

3. Registrierung

Für das erste OSS-Quartal war eine Registrierung unter Angabe der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer bis zum 01.07.2021 beim Bundeszentralamt für Steuern erforderlich.

Maßgeblich für den Registrierungsbeginn späterer Anmeldungen ist der erste Tag des Kalendervierteljahres, welches auf die Antragstellung folgt.

Für Unternehmen, die bereits für das Vorgängerverfahren „Mini-One-Stop-Shop“ registriert waren, bedarf es keiner neuen Registrierung für das OSS-Verfahren. Sie nehmen automatisch teil.

4. Erklärungspflichten

Für die Nutzung des OSS-Verfahrens bedarf es der fristgerechten Abgabe der Steuererklärung. Die OSS-Meldung ist stets bis zum Ablauf des Besteuerungszeitraums (30.04., 31.07., 31.10., 31.01.) elektronisch an das BZSt zu übermitteln. Die Umsätze in den jeweiligen Mitgliedsstaat sind zu trennen und dem in dem Bestimmungsland geltenden Steuersatz zu unterwerfen. Die Beträge sind grundsätzlich in Euro anzugeben. Für die Abgabe der OSS-Meldung gibt es keine Fristverlängerung. Ergeben sich im Besteuerungszeitraum keine einschlägigen Umsätze, so ist eine Nullmeldung abzugeben. Eine Berichtigung falsch übermittelter OSS-Erklärungen ist nicht erforderlich. Korrekturen erfolgen mit der laufenden OSS-Meldung.

Die in der OSS-Meldung erklärten Steuerbeträgen müssen bis zum Ende des Monats, der auf den Ablauf des Besteuerungszeitraums folgt, bei der zuständigen Bundeskasse oder bei der BZSt eingegangen sein. Die Zahlung ist per Banküberweisung zu tätigen. Ein Lastschriftauftrag kann nicht erteilt werden, weshalb die Umstellung der Buchhaltungsprozesse erforderlich sein könnte. Auf eine fristgerechte Zahlung ist stets zu achten.

5. Aufzeichnungspflichten

Anhand der Aufzeichnungen muss sich die Richtigkeit der Steuererklärungen und Zahlungen überprüfen lassen. Jeder EU-Staat, in dem Waren verkauft werden, hat die Möglichkeit über das BZSt die Aufzeichnungen von am OSS-Verfahren teilnehmender Unternehmer anzufordern und zu prüfen.

Wesentlich sind im Rahmen der Nicht-EU- und EU-Regelung nach Art. 63c MWStVO folgende Aufzeichnungen:

(1) Um als hinreichend ausführlich im Sinne der Artikel 369 und 369k der Richtlinie 2006/112/EG angesehen zu werden, enthalten die vom Steuerpflichtigen zu führenden Aufzeichnungen die folgenden Informationen:

a) Mitgliedstaat des Verbrauchs, in dem die Dienstleistung erbracht wird;

b) Art der erbrachten Dienstleistung;

c) Datum der Dienstleistungserbringung;

d) Steuerbemessungsgrundlage unter Angabe der verwendeten Währung;

e) jede anschließende Erhöhung oder Senkung der Steuerbemessungsgrundlage;

f) anzuwendender Mehrwertsteuersatz;

g) Betrag der zu zahlenden Mehrwertsteuer unter Angabe der verwendeten Währung;

h) Datum und Betrag der erhaltenen Zahlungen;

i) alle vor Erbringung der Dienstleistung erhaltenen Vorauszahlungen;

j) falls eine Rechnung ausgestellt wurde, die darin enthaltenen Informationen;

k) Name des Dienstleistungsempfängers, soweit dem Steuerpflichtigen bekannt;

l) Informationen zur Bestimmung des Orts, an dem der Dienstleistungsempfänger ansässig ist oder seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat.

(2) Der Steuerpflichtige erfasst die Informationen gemäß Absatz 1 so, dass sie unverzüglich und für jede einzelne erbrachte Dienstleistung auf elektronischem Wege zur Verfügung gestellt werden können.

6. Ausschluss vom OSS-Verfahren

Ein wiederholter Verstoß gegen die Aufzeichnungspflichten nach § 22 Abs. 1 UStG, die verspätete OSS-Meldung oder die verspätete Entrichtung der Umsatzsteuer aus dem OSS-Verfahren kann von der zuständigen Finanzbehörde mit dem Ausschluss vom OSS-Verfahren geahndet werden. Damit wäre eine Registrierung in sämtlichen Verkaufsländern erforderlich.

Der Ausschluss vom OSS-Verfahren hat weitreichende Konsequenzen. Aus Abschnitt 18j.1. Abs. 7 S. 6 UStAE geht hervor, dass bei einem Verstoß gegen die genannten Verpflichtungen der Ausschluss nicht vor Ablauf von zwei Jahren, die auf den Besteuerungszeitraum folgen, in dem der Ausschuss gegenüber dem Unternehmer bekannt gegeben wurde, endet. Binnen dieses Zeitraums ist ebenfalls die erstmalige oder erneute Teilnahme an den besonderen Besteuerungsverfahren nach §§ 18i18j sowie 18k UStG nicht zulässig.

7. Resümee

Die Erweiterung des (M)OSS-Verfahrens bringt für Unternehmer, deren Umsätze unter die Sonderregelung fallen, diverse Vorteile und Vereinfachungen mit sich. Zum einen müssen künftig nicht mehr für jeden Mietgliedstaat die Lieferschwellen individuell überwacht werden, sodass ein versehentliches Überschreiten und damit in Zusammenhang stehende Steuerschulden vermieden werden, zum anderen wird der mit der steuerlichen Registrierung in anderen Mitgliedstaaten verbundene Mehraufwand sowie die Mehrkosten obsolet.

Es ist jedoch auch zu beachten, dass mit der Einführung der EU-weiten Umsatzschwelle in Höhe von 10.000 EUR netto pro Kalenderjahr künftig weitaus mehr Unternehmer im EU-Ausland steuerpflichtig sein werden als bisher. Auch kleinere Unternehmer, die sich um ein Überschreiten der Lieferschwellen bislang keine Gedanken machen mussten, sehen sich nun mit einigem Mehraufwand konfrontiert und sollten unbedingt mit einem Steuerberater Rücksprache halten. Die Buchhaltung muss an die neuen Regelungen angepasst werden und künftig ist zudem eine weitere Frist zu beachten.

Um eine Registrierungspflicht in den EU-Bestimmungsländern zu vermeiden, sind die Anmeldezeiträume zum OSS-Verfahren dringend zu beachten.

Trotz einheitlicher Bestimmungen und Vereinfachungen bleibt insbesondere bei der Nutzung von Fulfillment-Strukturen eine gesonderte Überprüfung erforderlich, ob neben der Registrierung zum OSS-Verfahren beim BZSt der Unternehmer auch seiner Melde- und Erklärungspflicht im Bestimmungsland nachkommen muss.